Der lange Weg zum Ziel

Diskutiere Der lange Weg zum Ziel im Was ich unbedingt noch sagen wollte... Forum im Bereich Kaffeeklatsch; Liebes Kaffeenetz-Forum, nachdem ich seit über einem Jahr hier mitlese und noch keinen einzigen Beitrag geschrieben habe, möchte ich dies nun...

  1. #1 Beethoven, 26.09.2009
    Beethoven

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    Liebes Kaffeenetz-Forum,

    nachdem ich seit über einem Jahr hier mitlese und noch keinen einzigen Beitrag geschrieben habe, möchte ich dies nun nachholen. Es ist die Geschichte meiner Kaffee-Leidenschaft und der dazu gehörenden Erfahrungen.

    Der anonyme Erstkontakt
    Alles begann damit, dass ich vor über 5 Jahren mit einem Freund eine Diplomarbeit in einem chinesischen Werk eines deutschen Industriekonzerns geschrieben habe. Es gab dort fast nur Chinesen und ein paar internationale Angestellte. Wir arbeiteten Tag für Tag im zweiten Stock des Bürogebäudes, doch irgendwann verschlug es uns in den ersten Stock, weil wir mit dem IT-Chef eine Besprechung hatten. Der IT-Chef war ein Schwede zwischen 30 und 40 Jahren, und hinter seinem Schreibtisch stand ein seltsamer, verchromter Apparat in einem Käfig auf dem Sideboard. Der Apparat stellte sich später als ECM Mechanika II heraus. Natürlich wurde 10 Minuten über das Geschäft gesprochen und 50 Minuten über die ECM. Wir erfuhren von der ungeschriebenen Absprache im Unternehmen: Wer geschäftlich nach Deutschland reist, bringt auf dem Rückweg einige Kilo Espresso mit. „Aber keinen billigen Illy-Kaffee, der macht mir nur die Mühle kaputt.“

    Der Schutz des europäischen Kulturguts
    Natürlich fragte ich nach einiger Zeit, weshalb die Maschine in einem Käfig stehe. „Ganz einfach“, sagte der Schwede. „Wenn ich nach Hause gehe, wird sie abgeschlossen. Denn die Chinesen können das Gerät nicht bedienen. Die kennen nur rohe Gewalt im Umgang mit Maschinen. Überhaupt kein Feingefühl. Und Kaffee trinken sie auch nicht. Sie würden Teeblätter in den Siebträger füllen. Deshalb der Käfig.“ Man muss verteidigend hinzufügen, dass man nach einigen Wochen Alltag in China tatsächlich beginnt, so zu denken. Der Schwede war keine Ausnahme. So richtig verstanden habe ich die Begeisterung für die Maschine trotzdem nicht. Vom Zuschauen allein springt der Kaffeefunke nicht über. Man muss am eigenen Leib den Wunsch nach einem guten Espresso spüren, damit die Sucht geweckt ist.

    Shareware als Einstiegsmodell
    Zwei Jahre später fand die erste Espressomaschine in unseren Haushalt. Eine Freundin meiner Frau, selbst reine Teetrinkerin, hatte in ihrer Familie eine alte Maschine übrig und bot diese beiläufig zum Verschenken an. Ohne zu wissen, worum es sich überhaupt handelt, schlug meine Frau zu, und so kamen wir kostenlos in den Besitz einer Saeco Superautomatica. Ein beigefarbener Plastikkasten, der stark an einen amerikanischen Mixer aus den 70er Jahren erinnert. Beim Betrieb gibt es laut brummende und knarrende Geräusche, und am Ende ergießt sich eine gar nicht so übel schmeckende Masse in die hoffentlich vorgewärmte Tasse. Viele Kilogramm des sündhaft teuren Carroux Kaffee haben wir mit der Saeco verarbeitet, und doch war das Ergebnis nie so wie gewünscht. Für umsonst aber gar nicht so übel.

    Das Upgrade in die erste Liga
    Etwas Richtiges musste her. Milchschaum bereiten wir seit jeher mit einem Froth au Lait von Gastroback (eine geniale Maschine, wenn man mit wenig Aufwand genug Milchschaum für 4 Personen haben will, der auch nach 1 Stunde noch wie Bauschaum im Glase steht). Auf einen Zweikreiser konnten wir also verzichten, und wegen Platz und Kosten wollten wir es auch. Instinktiv kam nur die ECM Classika in Frage, und nach einigen Pseudo-Vergleichen mit anderen Maschinen, bei denen das Ergebnis eigentlich schon vorher feststand (man findet ja immer irgend etwas, wenn man sich sowieso schon entschieden hat), wurden eine ECM Classika, eine ECM Casa Mühle (ohne Dosierer) und etwas Zubehör (Abschlagkasten etc.) angeschafft.

    Lehrjahre sind leider keine Herrenjahre
    Es begann eine Odyssee der Verzweifelung. „Zum Üben“ begannen wir mit Tchibo-Espresso. Die 12,90 EUR hätten wir uns sparen können. Wir stiegen um auf „Der Pate“ von Lucaffe. Ich brauchte mehrere Tage für die Feststellung, dass der Mahlgrad der Mühle vorne und nicht an der Seite beim Knopf abgelesen wird (seitdem weiss ich, dass mein Mahlgrad 1,5 und nicht 7,5 ist). Die richtige Dosierung benötigte mehrere Monate, und unsere Mägen waren dem Magengeschwür nahe. Der Kaffee wollte und wollte einfach nicht schmecken. Irgendwann traf ich die wichtigste Entscheidung: Um aus meinen Fehlern wirklich lernen zu können, brauche ich einen offenen Siebträger. Damit haben wir es dann geschafft. Aus den Fehlern wurde gelernt, der Kaffee bekam Geschmack, und die Trefferquote begann sich zu stabilisieren.

    Meine Tipps für die Nachwelt:

    • Es geht nichts über einen offenen Siebträger. Ob man gerade durch den Kaffee hindurchzapft oder am Kaffee vorbei, lässt sich so am besten beurteilen. Das Tampern wird auch ohne Station kinderleicht, weil er eine ebene Unterkante hat.
    • Im Kaffeenetz gab es vor einiger Zeit einen Thread, bei dem ein User einen Espresso im 4-Sekunden-Takt auf 6 Tassen verteilt hat, um den Geschmack über die Zeit hinweg zu vergleichen. Dieser Versuch ist Gold wert. Ich habe ihn selbst durchgeführt, und seitdem stelle ich meine Tasse immer erst nach 4 Sekunden unter den Siebträger. Die dunkle Masse der ersten 4 Sekunden schmeckt nämlich wie Altöl.
    • Die richtige Espressomenge ist sehr entscheidend. Eine „falsche“ Menge lässt sich zwar durch Tamperdruck ausgleichen, das Ergebnis ist aber ein ganz anderes.
    • Wenn man einmal eine gelungene Kombination aus Espressosorte, Mahlgrad, Menge, Tamperverhalten und Durchlaufzeit erreicht hat, sollte man dieses für einige Wochen einüben, bevor man sich zu neuen Ufern aufmacht. Es muss nicht nur eine Zeit des Säens geben, sondern auch eine Zeit der Ernte.
    An dieser Stelle möchte ich allen im Forum herzlich danken, die durch ihre umfangreichen und durchdachten Beiträge, ihre Versuche mit den Zeitreihen, ihre mühsamen Stunden vor der zerlegten Maschine und ihren unermüdlichen Schreibeifer dazu beigetragen haben, dass auch ich meine Maschine ins Ausland mitnehmen und dort in einem Käfig schützen würde. Als Dankeschön ein kleines Foto aus meiner Küche.

    Uli

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  2. Tara

    Tara Mitglied

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    AW: Der lange Weg zum Ziel

    das war sehr schön geschrieben!
    Ich neige dazu nach einer Weile mit meiner Silvia das "Kaffeekochen" als "normal und notwendig" abzutun,
    dann ist es nichts besonderes mehr, man trinkt halt Kaffee...
    Ab und an fällt es dann wieder auf, was für ein wundervolles Hobby es doch ist und wie großartig der eigene Espresso im Vergleich so schmeckt.

    Deine Beschreibung der Maschine im 'Käfig und die Erklärung haben mir wieder mal deutlich gemacht, warum ich für die Silvia eine für mich doch größere Summe Geld ausgegeben habe und was schon an rumbastelei und Arbeit drinsteckte.

    Dankeschön, ich werde jetzt noch ne Runde Espresso rösten und mir dabei einen schönen cremig fluffigen Cappuccino in den wunderschönen vorgewärmten Ancaptassen machen und mich darüber freuen mir so schöne Sachen gekauft zu haben, die mir so viel Freude machen.
    Das hat Dein Beitrag bewirkt,
    dankeschön!
     
  3. #3 plempel, 26.09.2009
    plempel

    plempel Mitglied

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    AW: Der lange Weg zum Ziel

    Schöner Einstieg! :)
    ...

    aaaber ...

    Sollte es nicht durch
    möglich sein, einen durchwegs harmonischen, wohlschmeckenden Espresso zu zapfen, ohne dass man ein Fünftel des Kaffees einfach "vertröpfeln" lässt? Jedenfalls habe ich Espressozapfen so verstanden. :)

    Nochmal willkommen,
    Plempel
     
  4. #4 Cappufreak, 29.09.2009
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    AW: Der lange Weg zum Ziel

    Hallo,
    super geschrieben. Da ich seit einer Woche eine Siebträgermaschine hab, kann ich jetzt wieder hoffen. Denn ich wollte sie schon wieder hergeben. Heute der erste akzeptable Cappu. nicht super aber geht. Werde jetzt doch weiter üben. Evtl. bodenlosen Siebträger kaufen. Und ...andere Bohnen.:-?

    Schönen Abend
    Sonja
     
  5. #5 alterschwede, 30.09.2009
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    AW: Der lange Weg zum Ziel

    Als Schwede im Ausland habe ich 2 Kommentare:
    1. Beethoven, echt toller Beitrag!
    2. Das mit dem Käfig ist gar keine schlechte Idee. Werd ich mich ernsthaft überlegen. Ausländer (Nicht-Schweden...) sind Rabauken... :cool:
     
  6. #6 gunnar0815, 30.09.2009
    gunnar0815

    gunnar0815 Mitglied

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    AW: Der lange Weg zum Ziel

    @Beethoven na noch etwas Luft nach oben hast du da wohl noch. Bei einem wirklich guten Espresso schmecken sogar die ersten paar Sekunden und gehören dann auch zum Bezug dazu. Ist so aber erst mal eine gute Möglichkeit sich das Leben leichter zu machen. Wahrscheinlich stimmt die Temperatur oder der Druck noch nicht zu 100 Protzen. Mit einem PID wäre das wohl leichter.
    Gunnar
     
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