Nix mit Kaffe ... Englisch-Spezialisten bitte vortreten.

Diskutiere Nix mit Kaffe ... Englisch-Spezialisten bitte vortreten. im Was ich unbedingt noch sagen wollte... Forum im Bereich Kaffeeklatsch; fragt sich bloss, wo die grenze zwischen logos und mythos verläuft. zumal die schrift erst lange nach dem gesprochenen wort entstand - was den...

  1. #21 Walter_, 30.12.2006
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    Die Ansicht, daß Mythen Fiktionen sind, die nichts mit Wahrheit oder Realität zu tun haben ist leider weit verbreitet. Dennoch ist das eine Ansicht, die viel, viel jünger ist als die Mythen selbst, genaugenommen begann sich diese Ansicht erst mit den Schriften zu verbreiten, die im Kanon des Neuen Testamentes zusammengefaßt sind, also etwa zwischen dem 2. und 4. Jh unserer Zeitrechnung. Leider wird heute auch der Begriff Mythos als Synonym für etwas Unrichtiges, Fiktives, Irreales verwendet, doch das könnte falscher nicht sein...

    Eine ernstzunehmende Forschung was Mythen sind und wie sie entstanden begann aber erst sehr viel später, abgesehen von einigen früheren Ansätzen wie jenen von Herder oder der Gebrüder Grimm (die ja "hauptberuflich" nicht Märchenerzähler sondern hochkarätige Sprachwissenschaftler und Philologen waren) beginnt die Erforschung der Mythen erst Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts (etwa mit Frazer's The Golden Bough) und seither gab es sehr viele auch grundlegend unterschiedliche Ansätze Mythen und deren Entstehung zu erklären.

    Robert A Oden Jr., etwa, verwendet in seinem Buch The Bible Without Theology ungefähr 40 Seiten nur darauf, dem Leser einen knappen Überblick über die diesbezügliche Forschung zu verschaffen, und das mag verdeutlichen, daß die Sachlage wesentlich komplizierter ist, als man es sich gemeinhin vorstellt. Bahnbrechend, was die Untersuchung der Entstehung und Versuche der Erklärung von Mythen angeht, sind auch die Werke von Joseph Campbell oder etwa Robert Graves (in Deutsch als Robert von Ranke-Graves geführt).

    Die Entwicklung des Mythos scheint untrennbar mit der Entwicklung der Sprache verbunden, liegt also um einige zehntausend Jahre weiter zurück als die Entwicklung der Schrift. Und während einige (z.B. Max Müller) Mythen als eine "Krankheit der Sprache" betrachteten, sehen andere das genau umgekehrt (etwa J.R.R. Tolkien, Owen Barfield oder C.S. Lewis - die allesamt ebenfalls nicht nur Romanschreiber sondern ernstzunehmende Sprachwissenschaftler und Philologen, z.T. mit eigenen Lehrstühlen an namhaften Universitäten, waren): Nämlich Sprache als eine Krankheit der Mythen, und ein Wort als ein Symbol (Logos), das der Komplexität und Vielgestalt des Gegenstandes den es zu beschreiben versucht in der Regel überhaupt nicht gerecht wird.

    Während man etwa als den Mythos eines Baumes die Gesamtheit der Sinneseindrücke bezeichnen könnte, die er z.B. vermittelte, wenn man etwa im Frühsommer in seinem Schatten saß, mit dem Rücken an den Stamm lehnend, das Rauschen der Blätter im Wind vernahm und den Duft der Blüten roch. Und es gibt keine Möglichkeit jemandem mittels Logoi - also mit reinen Worten - exakt jene Sinneseindrücke zu vermitteln die man selbst dabei wahrgenommen hat.

    Die m.E. interessanteste diesbezügliche Studie stammt von Ernst Cassirer und ist in zeinem zwei- (bzw. drei-)bändigen Werk Philosophie der symbolischen Formen zusammengefaßt, als kurzer Überblick empfiehlt sich sein Aufsatz Language and Myth. Seiner Theorie zufolge entstand das kognitive, rationale Denken erst in einer späteren Phase unserer Entwicklung in der das Wort zum reinen Symbol und Kommunikationswerkzeug wurde. Nahezu zeitgleich entstand in England Barfield's Buch Poetic Diction, in dem ein sehr ähnlicher Ansatz verfolgt wird. Angeregt von Barfield befaßten sich auch Tolkien und Lewis eingehend mit dieser Theorie und es entstanden einige hochinteressante Werke z.T. auf wissenschaftlicher Ebene, z.T im Bereich der Belletristik.

    Natürlich gibt es auch davon grundlegend verschiedene Ansätze Mythen zu erklären, etwa als pure Übertreibung im Zuge jahrhundertelanger oraler Tradition (Euhemerismus), als untrennbare Begleiterscheinung (quasi als Erklärung) von überlieferten Ritualen, oder rein psychologische Phänomene (z.B. von Freud oder Jung) und einige mehr. Dennoch hat für mich der Ansatz von Cassirer bzw. Barfield am meisten Sex-Appeal... ;)
     
  2. #22 caffè olivier, 30.12.2006
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    wenn du mir jetzt sagst, dass das, was ihr hier auf den 3 letzten Seiten zusammengeschrieben habt zum Allgemeinwissen zählt, dann hol ich meine keule und verabschiede mich wieder in meine höhle.... :shock:

    Gruss
     
  3. #23 Roger / KAFISCHMITTE, 30.12.2006
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    Mir würde es schon reichen, wenn sich mir der Sinn dieser Aussagen erschliessen würde... :?

    Ich wusste gar nicht, dass man mit unseren tollen Buchstaben so wirre Formulierungen zustande bringt... Bin beeindruckt...

    OK, ich bin Schweizer oder noch schlimmer Berner oder noch schlimmer Emmentaler... Nächstes Jahr begreiffe ich's vielleicht... :wink:

    Rutscht gut rüber.

    Roger
     
  4. #24 old harry, 30.12.2006
    old harry

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    hallo goglo,

    oh, ich sehe durchaus auch die dem zugrunde liegende wechselwirkung.

    nur sein überleben? oder nicht etwa auch eine "unverdiente" überhöhung?

    zweifellos richtig: nicht alles bekannte wird auf die nächste generation übertragbar sein - ich hab's ja auch nicht so mit sheldrake's morphogenetischen feldern. andererseits: was heute ist, wird für künftige generationen eher verifizierbar sein, als es die historien um jesus, könig arthus oder den drachentöter st. georg für unsere vorväter waren. nicht nur die naturwissenschaften sind dem empirischen grundsatz der reproduzierbarkeit verpflichtet, sondern - in noch viel grösserem masse - vermeintliche wundertaten.

    wobei sich - siehe oben - die frage stellt, ob die "vergessene information" dem tatsächlich geschehenen entspricht. denn der mythos gibt nicht unbedingt die tatsachen wider.

    womit er durchaus recht hat. allerdings verlangt auch das erinnern einen veranwortlichen umgang mit dem "nicht-zu-vergessenden". insofern und im historischen rückblick wäre es demnach vielleicht weniger verhängnisvoll gewesen, wir - die spezies mensch - hätten uns bestimmter identitätsstiftender, aber hinsichtlich ihres gehaltes nicht genauer zu verifizierender mythen gar nicht mehr erinnert.

    gruss vom zürichsee in die hauptstadt der modernen philosophen... :wink:
     
  5. #25 old harry, 30.12.2006
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    walter,

    um missverständnissen vorzubeugen: ich halte mythen nicht für blosse produkte der imagination oder für reinste fiktion.
    ich schrieb ja von "überlebensgrosser fiktion". mithin sehe ich durchaus einen kern von tatsache und wahrheit im mythos, dessen ursprung im lebendigen, im realen zu suchen ist. wobei sich doch z.b. gerade der von dir in's spiel gebrachte tolkien für seine geschichten eines fundus von mythen bedient, die er selbst auch nur als überhöhungen von überlieferungen von erzählungen von geschehnissen kennt.
     
  6. #26 Walter_, 31.12.2006
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    Sage ich auch gar nicht. Mythologie, Kulturgeschichte, Religionsgeschichte und damit verbunden auch ein wenig Philologie und Philosophie sind einfach eines meiner "Steckenpferde"...

    Darüberhinaus lese ich ganz gerne und viel.
     
  7. #27 Walter_, 31.12.2006
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    Harry,

    Tolkien verfügte neben seinem ureigensten Fachgebiet über geradezu erstaunliche Kenntnisse der Mythologie. Und er hat sich heftigst dagegen gewehrt, daß Lewis Mythen einmal als "lies and therefore worthless, even though 'breathed through silver'" bezeichnet hat. In der Folge schrieb er auch ein Gedicht, Mythopoeia, quasi als Antwort auf Lewis' Bemerkung. Lewis selbst hat übrigens seine diesbezügliche Meinung später revidiert.

    Für Tolkien waren allerdings Mythen auch keine "überhöhungen von überlieferungen von erzählungen von geschehnissen", seine Ansicht war wesentlich differenzierter. In einer seiner kürzeren Geschichten, Smith of Wootton Major wird sein Verhältnis zu Mythen - oder "Sub-creation", wie er es häufig nennt - recht deutlich, und in zwei seiner Essays, nämlich "Beowulf: The Monsters and the Critics" aber noch besser in "On Fairy-Stories" erklärt er sich explizit. Darüberhinaus gibt es noch eine wissenschaftliche Publikation von ihm, "Sigelwara-Land", die ebenfalls sehr gut den Zusammenhang zwischen Sprachüberlieferung und Mythen verdeutlicht und im Zuge seiner eigenen Arbeiten an "synthetischer Sprachentwicklung" entstand sein durchaus ernstgemeinter Kommentar "...language construction will breed a mythology..." (c.f. sein Essay "A Secret Vice")...

    ----
    ...und jetzt noch einen "Guten Rutsch..." an Alle -- bzw. als etymologischen Hint und als Anschluß an eine andere Nebendiskussion in diesem Thread "A Gut'n Rosh" oder "Rosh haSchana"... ;)

    ----
    Edit: Zitat korrigiert...
     
  8. #28 silviatore, 31.12.2006
    silviatore

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    hallo,

    vielen dank fuer die interessanten beitraege.

    zum thema mythos/symbolik moechte ich als anregung kerenyi/jung, z.b. ueber den labyrinthmythos weitergeben.

    der begriff 'wirk-lichkeit ist uebrigens eine wortschoepfung meister eckardts (uebertragung des lat. begriffs 'actualitas')...


    einen guten 'rosch hannah' allen (espressotrinkenden) philosophen.


    eike
    ---
     
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