Verwirrung: Bitter bei Über- oder Unterextraktion?

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  1. magant

    magant Mitglied

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    Nach Lesen des Erste-Hilfe-Kastens für Espresso-Einsteiger (Diskussion: Ein Erste-Hilfe-Kasten für Espresso) und speziell der darin verlinkten Starthilfe für Einsteiger (nach Schulman) bin ich total verwirrt.
    Darin steht, dass bei niedriger Extraktion die bitteren Geschmacksstoffe (und die sauren) betont werden.
    Sonst lese ich hier im KN oft, dass die bitteren Geschmacksstoffe bei Überextraktion betont werden (also der Espresso zu bitter wird).
    Hääh??? Wo ist mein Denkfehler?
     
  2. #2 domimü, 28.02.2022
    domimü

    domimü Mitglied

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    Weitgehend Einigkeit besteht darin, dass mit feinerem Mahlgrad die Extraktion höher wird (gleiche Bezugszeit vorausgesetzt).
    Die von dir aufgegriffene Stelle hat schon oft zu Missverständnissen und hitzigen Debatten geführt, daher empfehle ich, es selbst auszuprobieren. Indem du mal mit normalem, mal mit grobem und mal mit feinem Mahlgrad in engem zeitlichem Rahmen je ein Getränk beziehst, vorzugsweise Doppio (Totraum bedenken, d.h. zwischen den Bezügen, die verkostet werden, genug Mehl verwerfen).
     
  3. #3 schwawag, 28.02.2022
    Zuletzt bearbeitet: 28.02.2022
    schwawag

    schwawag Mitglied

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    Wenn ich die Grafik hier Coffee Extraction vs Strength - The Balance Of Brewing richtig verstehe...
    Bitter: überextrahiert; sauer: unterextrahiert
    In Deinem Fall (zu bitter): -> Etwas weniger lang beziehen bzw. etwas gröber mahlen (bei gleicher Bohnenmenge und gleicher Wassertemperatur). Die Brühzeit um ein paar Sekunden reduzieren, lässt sich ja leicht umsetzen. Durch gröberes Mahlen wird indirekt ebenfalls die Brühzeit (bis zur blond-phase) reduziert.
    Hier noch eine ganz gut verständliche Grafik: Parameterchaos - Espresso bitter Darauf bin ich übrigens über die Forensuche mit "bitter" in der Überschrift gestossen... Der thread dazu: Parameterchaos - Espresso bitter
    Und eine - in meinen Augen sehr gut verständliche - Grafik von @Fabian77 auf Deutsch, die die Zusammenhänge aufzeigt: https://www.kaffee-netz.de/data/attachments/137/137443-8957b5316cf0f29c3520db8a5f68cc2f.jpg
    Wenn Du nur an der Temperatur drehst, dann lt @faustino Rancilio Silvia PID nachrüsten "...zu sauer/zu kalt und zu bitter/zu heiß..." Edit: @faustino's klare und kompetente Hinweise finde ich immer sehr hilfreich.
    Mit einer manuellen Mühle lassen sich kleine Änderungen relativ schnell realisieren und "erschmecken".(da die "Mischmahlungen "aufgrund des quasi nicht vorhandenen Totraums wegfallen).
     
  4. Ganzo

    Ganzo Mitglied

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    Hallo @magant,

    "Darin steht, dass bei niedriger Extraktion die bitteren Geschmacksstoffe (und die sauren) betont werden.
    Sonst lese ich hier im KN oft, dass die bitteren Geschmacksstoffe bei Überextraktion betont werden (also der Espresso zu bitter wird)".

    Was ich bisher darüber gelernt habe ist Folgendes:

    Die löslichen Stoffe des Kaffees reagieren unterschiedlich auf Temperatur und Zeit:

    Die Fruchtstoffe (süß, sauer, bitter) lösen sich schnell und bei allenTemperaturen.
    Die Röststoffe lösen sich langsam (süße Caramels) oder bei höheren Temperaturen (bittere Caramels).​

    Während eines Bezuges nimmt die Zeit zu und die Temperatur - in der Regel - ab.
    Das bedeutet:

    Zu Beginn lösen sich - abgesehen von den sehr wenigen süßen Stoffen (Glucose, Fructose, ... - die sauren und bitteren Fruchtstoffe (kurze Zeit) sowie die bitteren Röststoffe (noch höchste Temperatur).
    Das ist der Bereich der niedrigeren Extraktion.​

    Später (längere Zeit, inzwischen gesunkene Temperatur) folgen dann auch die süßen und körperreichen Röststoffe.
    Das ist der Bereich der höheren Extraktion.​

    Alle sauren und bitteren Stoffe lösen sich also immer und schnell, die süßen körperreichen aber nur bei längerer Zeit und noch ausreichender Temperatur.

    Daraus folgt, dass ein kräftig bitterer Geschmack praktisch immer* auf eine (zu) niedrige Extraktion hinweist. Eine (zu) hohe Extraktion schmeckt mild bis fad, bei hellen Bohnen eher (zu) lieblich, bei dunklen Bohnen eher (zu sehr) nach Bittercaramell.

    *Nur bei sehr langer Zeit und sehr hoher Temperatur lösen sich auch noch unerwünschte, bitter schmeckende Stoffe (viel zu hohe Extraktion).
    Diese Gefahr besteht etwa bei HX (heat exchanger)-Maschinen, wenn der Bezug zu lange dauert und dabei überhitzt. So kann beispielsweise schon ein 40sek-Bezug von einer hellen oder mittleren Röstung aus diesem Grund bitter werden.

    Die richtige Länge der Bezugszeit erhält man, wenn man den Bezug erst dann beendet, wenn der Ausfluss zunächst wässrig-transparent und anschließend farblos wird (Blonding). Das passiert nämlich genau dann, wenn alle lösbaren Stoffe extrahiert sind.

    Stoppt man früher, dann wird nicht vollständig extrahiert und das Verhältnis der süßen zu den sauren und bitteren Noten ist nicht ausgeglichen.

    Stoppt man später, dann bleibt die Geschmacksbalance zwar erhalten, aber die Konzentration nimmt ab durch Verwässerung.

    Die Erfahrung zeigt, dass sich saurer Geschmack immer durch süßen ausgleichen lässt und so ermöglicht, dass auch alle übrigen Geschmackstoffe besser zur Geltung kommen.

    Daraus ergeben sich verschiedene Strategien für die Geschmacksbalance durch die Änderung von Temperatur und Extraktionshöhe, z.B.:

    1. Kurzer Bezug mit geringerer Temperatur und geringerer Extraktion

    Temperatur absenken, höher dosieren und gröber mahlen = schneller Bezug mit weniger Temperatur und Extraktion.
    Anwendung: wenn eine niedrige Extraktion angebracht ist, z.B. bei dunklen Bohnen, die zu wenig Säure enthalten.
    Wirkung: zur Hervorhebung der wenigen Säure wird der Anteil der erst bei längerer Zeit und höherer Temperatur löslichen Röststoffe verringert.​

    2. Langer Bezug mit höherer Temperatur und höherer Extraktion

    Temperatur anheben, niedriger dosieren und feiner mahlen = langsamer Bezug mit mehr Temperatur und Extraktion.
    Anwendung: wenn eine höhere Extraktion angebracht ist, z.B. bei hellen Bohnen, die zuviel Säure enthalten.
    Wirkung: zur Abschwächung der vielen Säure wird der Anteil der erst bei längerer Zeit und höherer Temperatur löslichen süßen und körperreichen Röststoffe vergrößert.​

    Wenn Du wissen willst, wie Dein Kaffee bei Überextraktion bzw. Unterextraktion schmeckt, dann mache:

    - einen Bezug mit niedriger Dosis, feinem Mahlgrad und langer Bezugszeit und
    - einen weiteren mit vollem Sieb, grobem Mahlgrad und kurzer Bezugszeit
    - koste beide und schmecke den Unterschied bei Überextraktion bzw. Unterextraktion.​

    Gruß Ganzo
     
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